Einen neuen Youtube-Kurzfilm mit dem Titel »Die heilkünstlerische Sprachgestaltung« von Christa Slezak-Schindler finden Sie im Youtube-Kanal »Rudolf Steiner und die Anthroposophie«:
Einen neuen Youtube-Kurzfilm mit dem Titel »Die heilkünstlerische Sprachgestaltung« von Christa Slezak-Schindler finden Sie im Youtube-Kanal »Rudolf Steiner und die Anthroposophie«:
Internationale Novalis-Gesellschaft e. V.
Hölderlin-Gesellschaft e. V.
Christian-Morgenstern-Gesellschaft e. V.
Drei Verwandlungen nenne ich euch des Geistes: wie der Geist zum Kamele wird, und zum Löwen das Kamel, und zum Kinde zuletzt der Löwe.
Vieles Schwere gibt es dem Geiste, dem starken, tragsamen Geiste, dem Ehrfurcht innewohnt: nach dem Schweren und Schwersten verlangt seine Stärke.
Was ist schwer? so fragt der tragsame Geist, so kniet er nieder, dem Kamele gleich, und will gut beladen sein.
Was ist das Schwerste, ihr Helden? so fragt der tragsame Geist, daß ich es auf mich nehme und meiner Stärke froh werde.
Ist es nicht das: sich erniedrigen, um seinem Hochmut wehe zu tun? Seine Torheit leuchten lassen, um seiner Weisheit zu spotten?
Oder ist es das: von unserer Sache scheiden, wenn sie ihren Sieg feiert? Auf hohe Berge steigen, um den Versucher zu versuchen?
Oder ist es das: sich von Eicheln und Gras der Erkenntnis nähren und um der Wahrheit willen an der Seele Hunger leiden?
Oder ist es das: krank sein und die Tröster heimschicken und mit Tauben Freundschaft schließen, die niemals hören, was du willst?
Oder ist es das: in schmutziges Wasser steigen, wenn es das Wasser der Wahrheit ist, und kalte Frösche und heiße Kröten nicht von sich weisen?
Oder ist es das: die lieben, die und verachten, und dem Gespenste die Hand reichen, wenn es uns fürchten machen will?
Alles dies Schwerste nimmt der tragsame Geist auf sich: dem Kamele gleich, das beladen in die Wüste eilt, also eilt er in seine Wüste.
Aber in der einsamsten Wüste geschieht die zweite Verwandlung: zum Löwen wird hier der Geist, Freiheit will er sich erbeuten und Herr sein in seiner eignen Wüste.
Seinen letzten Herrn sucht er sich hier: feind will er ihm werden und seinem letzten Gotte, um Sieg will er mit dem großen Drachen ringen.
Welches ist der große Drache, den der Geist nicht mehr Herr und Gott heißen mag? »Du-sollst« heißt der große Drache. Aber der Geist des Löwen sagt »ich will«.
»Du-sollst« liegt ihm am Wege, goldfunkelnd, ein Schuppentier, und auf jeder Schuppe glänzt golden »Du sollst!«
Tausendjährige Werte glänzen an diesen Schuppen, und also spricht der mächtigste aller Drachen: »Aller Wert der Dinge – der glänzt an mir.«
»Aller Wert ward schon geschaffen, und aller geschaffene Wert – das bin ich. Wahrlich, es soll kein ›Ich will‹ mehr geben!« Also spricht der Drache.
Meine Brüder, wozu bedarf es des Löwen im Geiste? Was genügt nicht das lastbare Tier, das entsagt und ehrfürchtig ist?
Neue Werte schaffen – das vermag auch der Löwe noch nicht: aber Freiheit sich schaffen zu neuem Schaffen – das vermag die Macht des Löwen.
Freiheit sich schaffen und ein heiliges Nein auch vor der Pflicht: dazu, meine Brüder, bedarf es des Löwen.
Recht sich nehmen zu neuen Werten – das ist das furchtbarste Nehmen für einen tragsamen und ehrfürchtigen Geist. Wahrlich, ein Rauben ist es ihm und eines raubenden Tieres Sache.
Als sein Heiligstes liebte er einst das »Du-sollst«: nun muß er Wahn und Willkür auch noch im Heiligsten finden, daß er sich Freiheit raube von seiner Liebe: des Löwen bedarf es zu diesem Raube.
Aber sagt, meine Brüder, was vermag noch das Kind, das auch der Löwe nicht vermochte? Was muß der raubende Löwe auch noch zum Kinde werden?
Unschuld ist das Kind und Vergessen, ein Neubeginnen, ein Spiel, ein aus sich rollendes Rad, eine erste Bewegung, ein heiliges Ja-sagen.
Ja, zum spiele des Schaffens, meine Brüder, bedarf es eines heiligen Ja-sagens: seinen Willen will nun der Geist, seine Welt gewinnt sich den Weltverlorenen.
Drei Verwandlungen nannte ich euch des Geistes: wie der Geist zum Kamele ward, und zum Löwen das Kamel, und der Löwe zuletzt zum Kinde. –
Also sprach Zarathustra. Und damals weilte er in der Stadt, welche genannt wird: die bunte Kuh.
Quelle: Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 293-295.
Christa Slezak-Schindler, geboren 1926 in Kassel, arbeitete, nach sprachkünstlerischen und pädagogischen Studien von 1958 bis 1961 am Goetheanum in Dornach, von 1962 bis 1985 als Sprachgestalterin an der Freien Waldorfschule am Kräherwald in Stuttgart. Ab 1965 zahlreiche Rezitationen, Vorträge und Seminare, sowie Kurse vorwiegend für Erzieher, Lehrer und Ärzte. Die in Jahrzehnten entwickelte Lehrmethode der Sprachgestaltung mit ihren therapeutischen, pädagogischen und esoterisch-religiös-kultischen Verzweigungen auf dem Boden der Kunst weiter auszubauen, erfordert permanente geisteswissenschaftliche Forschung. Kunstgemäße Tätigkeitsforschung bildet die Grundlage einer sinnvollen Anwendung der sprachkünstlerischen Möglichkeiten insbesondere in der Ausübung einer neuen Heilkunst, die Abwendung von Krankheiten ebenso wie Gesundheitspflege mitumfasst. In den bis 2005 stattfindenden sogenannten »Therapiewochen«, in welche die Erfahrungen einer reichen Praxistätigkeit einflossen, in zahlreichen Wochenendkursen, Seminaren und Einführungsveranstaltungen entwickelte Christa Slezak-Schindler eine lebendige Methodik der sprachkünstlerischen Therapie, welche die anthroposophisch geprägte Sprachtherapie maßgeblich beeinflusst hat und heute eine eigenständige Richtung bildet. Da die sprachkünstlerisch-praktische Arbeit auf dem von Rudolf Steiner und Marie Steiner-von Sivers geschaffenen Hintergrund der Anthroposophie innerster Beweggrund ist, konnte eine weitreichende Differenzierung und Vertiefung der Sprachkunst sowohl für die Erziehungskunst, als auch für die Heilkunst erfolgen. Verwunderlich ist das nicht, liegen doch Heil- und Erziehungskunst ebenso wie Selbstheilungs- und Selbsterziehungskräfte im Wesen der Sprache selber. Die Schule für Sprachgestaltung und Sprachkünstlerische Therapie wurde am 3. Oktober 1978 in Stuttgart gegründet. 1985 wechselte die Ausbildung von Sprachgestaltern und Sprachkünstlerischen Therapeuten nach Bad Liebenzell. Christa Slezak-Schindler leitete zwölf vierjährige Ausbildungskurse, zahlreiche Fortbildungskurse für Sprachgestalter, Ärzte und Lehrer; Vorträge im In- und Ausland, vorwiegend zur Sprachkunst – als Heilkunst in Gestalt der Sprachkünstlerischen Therapie – wechselten mit Rezitationen von Dichtung; Vortragsrede und Rezitation poetischer Texte bildeten stets eine unverwechselbare, kunstvolle Einheit.
Das Gebot, »aus der starren Larve der stummen Letter das Lied zu erlösen zum Leben im Laut«, galt für den fahrenden Barden in Jordans »Nibelunge«. Es gilt auch für uns, denn die elementarsten Denk- und Lebensformen der Anthroposophie sind die Sprachlaute. Ohne sie gäbe es keine Geisteswissenschaft, keine Eurythmie und keinen Kultus der Christengemeinschaft. In den Sprachlauten sammeln und verdichten sich lebendiger Sprach-Atem, geistgemäßes Zusammenstimmen und seelenerwärmende Bewegungskraft. Die Laute der Sprache sind die heil- und lebenskräftigen Ur-Keime der gesamten Anthroposophie.
Über den bloßen Gedankeninhalt hinaus Dichtung auszudrücken, in all ihrem lautlichen, rhythmischen, malerischen, plastischen und musikalischen Reichtum, erfordert die Beherrschung, zugleich aber auch den Freiheitswillen des ganzen Menschen. Rhythmus ersetzt Kraftanstrengung, Rhythmus zu finden heißt spielerischer Umgang mit verborgenen Lebensgesetzen. Stimmbildung, Atemschulung an der Sprache und gesammelte Gestaltungskraft sind neben geisteswissenschaftlicher Menschenkenntnis Voraussetzung eines beispielsweise eine eurythmische Darstellung impulsierenden, rhythmisch tragenden, sinnvoll durchwirkenden Sprechens.
Rudolf Steiner spricht vom menschlichen Atmungssystem, in dem alle heilenden Kräfte darinnen liegen, Marie Steiner vom heilenden Atem. Rudolf und Marie Steiner lehrten das Atmen an der Sprache, das Sprechen im Atem. Sie wiesen einen Weg, der das Einleben in den dreigegliederten Atemmenschen ermöglichen wollte. Zusammengenommen in die sich selbst erschaffende Ichheit des Menschen verbindet die Hauptesatmung mit der Freiheitssphäre, lebt die Brustatmung zwischen Ruhe in der Bewegung und Bewegung in der Ruhe, vermittelt die Zwerchfellatmung innere Sicherheit im Sprechen.
Die Schulung des Sprechens führt zur Verwandlung der Seelenkräfte, zur Impulsierung der Bewegungskraft im Geistigen, zur Erhaltung der Leibesgrundlagen. Geht dieses kostbare Schulungsgut innerhalb und außerhalb der anthroposophischen Bewegung verloren, dann kann die Anthroposophie ihre Zukunftsaufgaben kaum bewältigen. Dann erstickt sie an ihrer eigenen Gedankenfülle. Die Stimmbildung beruht auf der zu erstrebenden Elastizität des physischen Leibes.
Das Übereinstimmen von Gebärde und Sprache mit dem Atemgeschehen bildet einen weiteren Schwerpunkt. Dabei ist die Einbettung der sprachbegleitenden Bewegung in den Atem eine besondere Hilfe zur allmählichen Rhythmisierung des Atem-Geschehens. Grundgesten wurden herausgearbeitet, Lautgesten und andere, die mit dem Erreichen der tief in der Menschenseele liegenden schöpferisch gestaltenden Selbstheilungskräfte zu tun haben. Die Tätigkeit der Sprachorgane in ihrem Zusammenspiel mit dem gesamten Organismus wird durch gezielte Übungsbewegung angeregt und innerlich gesteigert.
All diese, unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen der Wesensglieder, untereinander stattfindenden Bewegungen, seien es ihre Ausrichtungen, Strömungen oder Schwingungen, dienen der Wiederherstellung der Einheitlichkeit des menschlichen Wesens. Das Wahrnehmen der menschlichen Gestalt sowie das Wirken des astralischen Leibes in den Ätherleib über die Zahlenverhältnisse der Silben im rhythmischen Aufbau der Übungen und Gedichte spielen in unterschiedlichen Übungsfolgen eine bedeutende Rolle.
Die Sprache führt das Kind in das Leben auf der Erde. Es will in die Sprache hinein wachsen. Der Erwachsene muss die Sprache wieder befreien, das heißt freimachen von sich selber. Sie führt ihn in das Geistige. Wie der natürliche Spracherwerb von außen angeregt wird, so muss das künstlerische Sprechen von innen heraus willentlich ergriffen werden. Das Sprachübungsgut Rudolf Steiners dient nicht allein einem besseren oder gar bühnentauglichen Sprechen, in seinem Aufbau ist der Fahrplan zur Verwandlung des Menschen in einen schöpferisch Sprechenden gegeben. Denkend Erkennen, fühlend Bewegen und willentlich Gestalten finden zu einer neuen Einheit. Erziehung ist die eine Seite des Sprechenlernens, Selbsterziehung die andere.
»Der physische Organismus ist«, so Rudolf Steiner, »von einem ätherischen Organismus durchsetzt. Der bloße physische Organismus könnte niemals einen Selbstheilungsvorgang hervorrufen. Ein solcher wird in dem ätherischen Organismus angefacht. Damit aber wird die Gesundheit als der Zustand erkannt, der im ätherischen Organismus seinen Ursprung hat. Heilen muss daher in einer Behandlung des ätherischen Organismus bestehen.« Deshalb ist ein bewusstes und phantasievolles Gestalten der Sprache und des Sprechens eine kraftvolle Aufforderung an den Ätherleib, sich so zu betätigen, dass die Sprache auf den Schwingen der Atmung aus der Enge des Leibes sich befreien, das Seelisch-Geistige ergreifen und heilsam zurückwirken kann auf den Sprechenden. Künstlerisches Sprechen vertraut sich den gesundenden Kräften an, die dem Wesen der Sprache innewohnen.
Die lebendigen Form- und Bildekräfte der Sprache finden sich, stark verdichtet, im Wahrspruch oder Meditationsspruch von Rudolf Steiner; Inhalt und Gestalt sind eins. Ein sprachkünstlerisch-übendes Eindringen gerade in die Seelenräume des eigenen Willens zielt auf ein bewusstes und tätiges Ergreifen des Wortes in seinen Lautverbindungen, seiner Stimmung, seiner Atemgestalt. Mantrisches Sprechen ist Ursprung und Weg der Sprachgestaltungskunst. Um diesen Weg gehen zu können, entwickelte Rudolf Steiner zahlreiche Sprachübungen, die geeignet sind, in immer tiefere Schichten der Sprache und des Wortes zu führen. Die Hochschule der Sprachgestaltung versucht zu ergründen und zu zeigen, dass alles, was Sprachgestaltung sein kann, an der Sprache selbst zu erlernen ist. Künstlerisches Sprechen auszuüben, darzustellen, erlebbar werden zu lassen, was künstlerisches Sprechen heißt, ist Lebenselement des sich seiner Sprache bewusstwerdenden Menschen.
Die Sprachgestaltung, wie sie hier vertreten wird, ist zahlreichen Gefahren ausgesetzt: der Unverbindlichkeit im Umgang mit ihren geistig-künstlerischen Grundlagen und Quellen, dem blinden Festhalten an Althergebrachtem und Gewohntem, Gleichgültigkeit, Unverständnis und Ablehnung jeglicher Erneuerung, die sich aus Liebe zur Anthroposophie als notwendig und geistgemäß erweist. Das Bewusstsein für die Anthroposophie der Sprachgestaltung innerhalb der anthroposophisch orientierten Daseinsfelder wiederherzustellen, zu begründen, zu vertiefen, und gleichermaßen für eine heilkünstlerisch wirkende, geistgerechte Anthroposophie neue, erkennbar ausstrahlende Heimatorte zu schaffen, bedarf vielfältiger und ausdauernder Unterstützung. Geschieht das, was Neuschöpfung, Vertiefung oder Durchdringung der einzelnen Ich-Wesenheit aus dem lebendigen Wort genannt werden kann, könnte der schwersten auf uns zukommenden Krankheit entgegengewirkt werden, dem Verlust des Mensch-Seins.